10.06.2025

Der Reiz des Verbotenen und künstliche Intelligenz

Neue Technologie bringt neue Möglichkeiten mit sich, sowohl im Guten wie im Schlechten. Junge Menschen probieren gerne mal beides aus. Und das kann bei Tools mit künstlicher Intelligenz schwerwiegende Folgen haben - für sie selbst aber auch andere. Noch nie war es so leicht, mit ein paar Klicks Regeln zu verletzen oder gar die Realität zu verfälschen. Für junge Menschen ist das oft Spielerei – für Ausbilder:innen eine pädagogische Herausforderung.  Wer junge Menschen ausbildet, steht deshalb vor der Herausforderung, zwischen Experimentierfreude und Verantwortung zu vermitteln. 

Grenzverletzung aus Neugier

Der Autor dieser Zeilen war 17 als er vor dem Lehrerzimmer einer berufsbildenden Schule stand und klopfte. Es war am frühen Nachmittag und gleich würde der Mittagsunterricht beginnen. Es gab da nur ein Problem, der Systemadministrator der Schule hatte meinen Zugang zum Netzwerk gesperrt. Mir war wohl bewusst, was passiert war. Ich hatte mich mit Hilfe der MS-DOS Eingabeaufforderung etwas umgeschaut und war auf Dateien gestoßen, die ich nicht sehen sollte: Die persönlichen Ordner der Lehrer. Darunter viel Irrelavantes, aber auch witziges, wie Bilder eines Lehrgangs an dem es feucht fröhlich zuging. Der Systemadministrator -Herr J.- galt als harter Hund. Hochkompetent in Mathe und streng in der Führung seiner Klasse. Herr J. machte schließlich die Tür sogar selbst auf und hörte sich mein Gestammel mit der Bitte um Freischaltung meines Accounts an. Das weitere Gespräch war nicht angenehm, aber auch recht kurz, Herr J. war kein Freund der großen Worte. Am Ende war ich davongekommen und um eine Lektion reicher. 

Wenn ich also über ein Thema wie das Austesten von Grenzen schreibe, dann geht das nicht mit erhobenem Zeigefinger. Natürlich war meine damalige Neugier harmlos im Vergleich zu dem, was mit heutigen KI-Tools möglich ist – aber sie hilft mir zu verstehen, warum junge Menschen Grenzen ausloten. Genau auf diese Bedingungen treffen heute auch viele junge Menschen, wenn sie künstliche Intelligenz in Bildungsumgebungen einsetzen. Neugier, was diese Technologie alles schaffen kann. Ein Bewusstsein, dass viele ihrer Ausbilder und Lehrer nicht so tief drin sind wie sie. Und ein rechtlicher Rahmen, der lange Zeit weder in Betrieben noch Gesellschaft vorhanden war.

Häufig treffe ich in meinem Workshop auf Ausbilder:innen und Berufsschullehrer:innen, die mir berichten, wie Azubis Chatbots, wie ChatGPT oder DeepSeek, für alles Mögliche nutzen würden, von den Hausaufgaben, über das Schreiben des Berichtsheftes bis hin zum Schummeln in den Prüfungen. In den Berichten schwingt häufig ein Stück Verblüffung mit. Denn wie genau die Azubis vorgegangen sind, ist nicht immer bekannt. Und teilweise würden Regeln fehlen, wie mit dem Einsatz von KI eigentlich umzugehen sei.

All das ermöglicht jungen Menschen Spielraum, den sie ausnutzen können und dabei nicht mal mit böser Absicht handeln müssen. 

Kein Spaß mehr: KI als Werkzeug, um anderen zu schaden

Nicht alles lässt sich mit dem Austesten von Grenzen schönreden. Künstliche Intelligenz kann auch genutzt werden, um Grenzen bewusst zu überschreiten und andere Menschen zu verletzen. Und hier gilt es für Bildungsverantwortliche nicht wegzuschauen, sondern zu handeln.

Nehmen wir ein fiktives Beispiel aus dem Ausbildungsalltag:

Ein Berufsschullehrer, nennen wir ihn Herr A., soll angeblich alkoholkrank sein. Plötzlich kursieren Bilder von ihm mit einer Schnapsflasche in der Hand – scheinbar Beweise. Angeblich existiert sogar eine Tonaufnahme, in der er eine Schülerin bittet, ihm Wodka zu besorgen.

Oder ein anderes Szenario:

Über zwei Auszubildende, B. und C., geht das Gerücht um, sie seien ein Paar. Bald tauchen Bilder auf, die sie beim Küssen zeigen – zumindest wirken die Gesichter so. Dazu kommt ein angeblicher Liebesbrief, der in der Kantine gefunden wurde. Die Ausdrucksweise erinnert auffällig an B.s Posts in den sozialen Medien.

In beiden Fällen scheint auf den ersten Blick vieles plausibel. Doch was, wenn all diese Inhalte gar nicht echt sind? Wenn es in Wirklichkeit ein anderer Azubi war – nennen wir ihn D. – der sich einen „Spaß“ erlaubt hat? Ein junger Mensch, der systematisch persönliche Daten, Bilder, Stimmen und Sprachmuster seiner Kolleg:innen gesammelt hat, um mithilfe von KI eine gezielte Täuschung zu konstruieren?

Klare Ansagen und ein respektvoller Umgang

Was auf den ersten Blick wie ein harmloser Scherz wirkt, kann gravierende Folgen haben – nicht nur für die Betroffenen, sondern für das gesamte betriebliche Klima. Und nicht zuletzt für den jungen Menschen selbst: Je nach Ausmaß können diese Folgen auch strafrechtlich sein.

Um solche Situationen zu vermeiden, ist es zum einen hilfreich, klare Regeln aufzusetzen und diese gegenüber den Azubis zu Beginn der Ausbildung zu kommunizieren. Dabei muss es nicht automatisch tief in technische Details gegangen werden. Viele junge Menschen wünschen sich im Bildungsalltag vor allem Respekt, sowohl von ihren Ausbilder:innen und Lehrer:innen als auch im Umgang mit anderen Azubis.  Und natürlich ist es respektlos Andere bloßzustellen. Niemand möchte, dass seine persönlichen Angelegenheiten in der Öffentlichkeit breitgetreten werden. Jedem und jeder muss klar sein, es hat Folgen, wenn du dich respektlos verhältst. Und natürlich sollten Ausbilder:innen selbst mit gutem Beispiel voran gehen. 

Verantwortung übernehmen – auch im digitalen Raum

Bei den rechtlichen Hintergründen gilt es für Ausbilder:innen sich erst mal selbst aufzuschlauen, zum Beispiel bei uns auf dem NETZWERK Q 4.0. Und das ist bei KI mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden, denn das Feld entwickelt sich. Wegschauen ist aber keine Alternative. Sowohl mit dem internen Datenschutzbeauftragten als auch in der Lernortkooperation gehören die Punkte „Wann darf KI eingesetzt werden und wann nicht?“ sowie „Was passiert, wenn meine Azubis KI zum Schaden anderer nutzen?“ einmal auf die Tagesordnung. Und langfristig sollte das Thema in die Lehrpläne der allgemeinbildenden und beruflichen Schulen, denn es betrifft alle Ausbildungsberufe vom Anlagenmechaniker bis zur Zimmerin.

Auszubildende begleiten: Zwischen Anleitung und Vertrauen

Am Ende gilt: Es geht nicht darum junge Menschen zu bevormunden, sondern sie zu schützen und gleichzeitig von ihrem Elan und ihrer Neugier zu profitieren.

In meinem heutigen Job arbeite ich viel mit jüngeren Menschen zusammen, Kolleg:innen nach und während dem Studium, genauso wie Azubis und Praktikant:innen. Ein guter Teil dieser Menschen verfügt über Kenntnisse, welche die meinigen übersteigen. Mir ist wohl bewusst, dass ein Teil von ihnen ebenfalls versuchen werden ihre Grenzen auszutesten. Das ist normal und ermöglicht Erfahrungen zu machen, sich selbst und ihre Wirkung auf andere besser kennenzulernen – und sich weiterzuentwickeln. Der entscheidende Punkt ist: Es braucht klare Leitplanken und Menschen, die sie begleiten. Auszubilden heißt Verantwortung zu übernehmen, das war schon immer so und gilt auch heute mit leicht veränderten Spielregeln.

Ich habe damals einiges gelernt, als ich vor dem Lehrerzimmer stand. Nicht nur über Technik, sondern über Verantwortung. Heute haben junge Menschen viel mächtigere Werkzeuge in der Hand – und verdienen es, bei deren Nutzung gut begleitet zu werden.

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