20.10.2025
Wie gelingt es, Auszubildende mit ganz unterschiedlichen Stärken gemeinsam voranzubringen – und sie auch in schwierigen Phasen motiviert zu halten? Im Interview verrät Holger Reurthmanns, Meister bei der NGN Netzgesellschaft Niederrhein mbH, wie er mit Leistungsunterschieden konstruktiv umgeht, Eigenverantwortung stärkt und Motivation gezielt fördert. Seine praxiserprobten Tipps zeigen: Mit Empathie, Feedback und kleinen Erfolgserlebnissen lässt sich Motivation nachhaltig aufbauen – selbst in anspruchsvollen Ausbildungssituationen.
Welche Strategien haben Sie entwickelt, um Ihre Auszubildenden auch in schwierigen Phasen motiviert zu halten?
Holger: Mir ist wichtig, dass die Azubis ihre Probleme selbst erkennen und Lösungen erarbeiten. So erleben sie ihre eigenen Erfolge – das motiviert viel stärker, als wenn ich alles vorgebe. Oft reicht schon eine kleine Hilfestellung, damit sie selbst auf den richtigen Weg kommen. Natürlich nimmt das manchmal mehr Zeit und Geduld in Anspruch, aber der Lerneffekt zahlt sich aus.
Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Leistungsniveaus in einer Ausbildungsgruppe um, damit niemand auf der Strecke bleibt – weder die Schwächeren noch die Stärkeren?
Holger: Leistungsunterschiede gibt es in jeder Gruppe. Wichtig ist, dass sie nicht als „Problem“ gesehen werden, sondern als Chance. Ich setze auf positive Anreize und kleine Vorbilder. Wer schon etwas weiter ist, kann den anderen zeigen, wie es geht. Das weckt bei den Schwächeren den Ehrgeiz, ebenfalls besser zu werden, und die Stärkeren bleiben gefordert.
Welche Rolle spielt konstruktives Feedback in Ihrer Ausbildungspraxis – und haben Sie ein Beispiel, wo Feedback den entscheidenden Unterschied gemacht hat?
Holger: Feedback ist für mich unverzichtbar. Viele Azubis schätzen ihre Leistungen falsch ein. Ein klares Feedback hilft, die eigene Position besser zu verstehen. Ich erinnere mich an einen Azubi, der dachte, er sei nicht gut genug. Durch gezieltes Feedback konnte ich ihm zeigen, was er schon kann und wo er noch ansetzen sollte. Danach ging er deutlich selbstbewusster an die Aufgaben heran.
Wie gelingt es Ihnen, Azubis mehr Eigenverantwortung für ihren Lernprozess zu übertragen?
Holger: Ich lasse die Auszubildenden bewusst Aufgaben selbst bearbeiten, wenn ich weiß, dass sie es schaffen können. Diese Erfolgserlebnisse stärken ihr Selbstvertrauen und machen sie unabhängiger. Bei kleineren Projekten lasse ich sie oft komplett den Ablauf planen und umsetzen, begleite aber im Hintergrund. Und ich biete eine offene Fehlerkultur, denn nur so ermutige ich die Azubis auch neue Dinge auszuprobieren. Es ist ok, auf dem Weg Fehler zu machen – denn der Lerneffekt ist deutlich größer, als wenn ich es fehlerfrei vormache.
Gibt es einen Tipp oder eine kleine Methode, die Sie anderen Ausbilder:innen empfehlen würden, um Motivation und Engagement bei Azubis zu stärken?
Holger: Ein einfacher, aber sehr wirksamer Ansatz ist, Azubis in spielerische Wettbewerbssituationen zu bringen. Das kann so etwas Banales sein wie: „Wer schafft die Aufgabe schneller?“ oder „Wer erklärt den anderen die Lösung am verständlichsten?“ Solche kleinen Challenges wecken Ehrgeiz und bringen Energie in die Gruppe. Wichtig ist, dass der Wettbewerb fair und positiv bleibt. Außerdem empfehle ich, auch kleine Fortschritte sichtbar zu machen. Schon ein kurzes Lob oder eine kleine Anerkennung kann viel bewirken – oft mehr, als man denkt.
Welche Veränderungen oder neuen Ansätze wünschen Sie sich generell für die Ausbildungspraxis, damit Motivation und Leistungsvielfalt noch besser berücksichtigt werden können?
Holger: Ich wünsche mir vor allem mehr Zeit, um individuell auf die Azubis eingehen zu können. In der Praxis fehlt diese Zeit häufig, weil viele organisatorische Aufgaben dazukommen. Mehr Freiraum würde helfen, die unterschiedlichen Bedürfnisse besser aufzufangen. Darüber hinaus sehe ich große Chancen in digitalen Lernformaten – insbesondere in KI-gestützten Lernprogrammen oder Simulationen. Wenn Azubis Alltagssituationen realitätsnah durchspielen können, lernen sie praxisnah, selbstständig und mit viel mehr Motivation. Das wäre ein echter Fortschritt.
Möchten Sie noch etwas ergänzen, das Ihnen im Zusammenhang mit Motivation und Leistungsdiversität besonders wichtig ist?
Holger: Ich halte es für entscheidend, das Selbstvertrauen der Azubis zu stärken. Viele unterschätzen sich selbst und brauchen die Erfahrung, dass sie Aufgaben auch allein meistern können. Wenn ein Azubi das Gefühl hat: „Ich kann das!“, verändert sich sein Blick auf die gesamte Ausbildung. Dann ist Motivation nicht mehr etwas, das von außen kommen muss – sondern sie entsteht von innen heraus.
Fazit: Motivation braucht Raum für Vielfalt
Holger: Motivation entsteht nicht durch Druck, sondern durch Vertrauen, Anerkennung und echte Beteiligung. Wenn Ausbilder:innen die Vielfalt ihrer Azubis als Stärke begreifen, entstehen Lernräume voller Energie und Selbstvertrauen. So wird aus Ausbildung mehr als Wissenstransfer – sie wird zu einer gemeinsamen Entwicklungsgeschichte.








