25.09.2025

Wer träumt nicht von einem Leben ohne Stress? Doch was, wenn genau dieser Stress dein bester Freund im Ausbildungsalltag sein könnte? In einer Welt, in der „Anti-Stress“ zum Trend geworden ist, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Warum Stress nicht dein Feind, sondern ein wichtiger Motivator sein kann – und wie du lernst, ihn für dich selbst und deine Auszubildenden richtig zu nutzen.

Kein Stress ist auch keine Lösung.

Lass uns mal eine Lanze für den Stress brechen. Gerade bei Leuten, die mit anderen Menschen arbeiten, diese in der eigenen Entwicklung oder in herausfordernden Phasen begleiten, wie z.B. in der Ausbildung, begegnet er uns täglich und dort durchaus auch geballt.

Warum ist das so? Wer sich (weiter)entwickelt, verlässt automatisch die eigene Komfortzone und das geht nun mal immer Hand in Hand mit Stress. Die Ausbildungszeit ist eine Phase voller Herausforderungen und Lernkurven – Stress gehört einfach dazu. Je nachdem, wie gut die Stress- und Emotionskompetenzen der Azubis sind, kommen sie mehr oder weniger gut damit zurecht. Durch die dauerhafte Reizüberflutung sind die Nervensysteme vieler junger Menschen heutzutage meist chronisch disreguliert – statt einer gesunden Balance pendeln sie häufig zwischen Phasen von Vollgas und fehlender Motivation.

Das Resultat: der empfundene Stress wird - bewusst oder unbewusst - auf die begleitenden Personen übertragen. Das geschieht meist aus eigener Überforderung und Hilflosigkeit heraus. D.h. dass du als Ausbilder:in Stress meist von zwei Seiten abbekommst: da ist zum einen der eigene Stress und zum zweiten der des Azubis. Das erfolgreich zu meistern, erfordert schon Sof Skills der Extraklasse. Als Ausbilder:in kannst du hier einen echten Unterschied machen!

Stress ist nicht per se der Bösewicht, sondern Freund und Helfer. Er zeigt, was uns wichtig ist. Und er zeigt dir als Ausbilder:in auch, was deinen Azubis wichtig ist – oder wo sie möglicherweise an ihre Grenzen stoßen. Denn: Ein Leben (und eine Ausbildung) ohne Stress wäre ein Leben ohne Ziele oder Motivation. Keinerlei Stress bedeutet auch, dass nichts wirklich wichtig ist. Denn Stress ist es, was uns am Ende ins Tun bringt.

Das richtige Maß finden

Stress ist ein Thermostat für Wichtigkeit. Und hier kommst du als Ausbilder:in besonders ins Spiel: Achte auf dein eigenes und unterstütze deine Azubis auch dabei, ihr individuelles Thermostat richtig einzustellen, sodass ihr euch dauerhaft gut und gesund fühlt – und gleichzeitig auch leistungsfähig bleibt. Schaffe eine Lernkultur, in der gesunde Anspannung gefördert, aber Überforderung frühzeitig erkannt und reduziert wird.

Stress ist nicht das Problem. Unser Umgang damit ist es.

Von einem Extrem ins andere – so sieht der Alltag von vielen aus: Vollgas oder wir liegen auf der Couch und starren in einen Bildschirm. Kommt dir das bekannt vor? Diese Strategie sorgt jedoch nur dafür, dass wir ausbrennen. Feinjustierung ist angesagt! Mache dich und deine Azubis mit euren individuellen Schiebereglern vertraut, sodass ihr die Temperatur flexibel hoch- oder runterfahren könnt – je nachdem, was gerade gebraucht wird, um das aktuelle Ziel zu erreichen und in den dafür notwendigen Flow zu kommen. Für die Azubis kann das allgemeine Ziel z.B. Lernen & Leistung sein, für Ausbilder:innen das fördernde & fordernde Begleiten. Je weiter ihr diese Ziele herunterbrecht, desto genauer könnt ihr kalibrieren

Der persönliche „Magic Spot“ in der Ausbildung

Jeder Mensch hat einen „Magic Spot“ – ein optimales Stresslevel für ein festzulegendes Ziel, das Leistung maximiert und sich gleichzeitig gut & gesund anfühlt. Da wollen wir hin. Das ist das Kernstück der Drachenberg Methode:

Das Prinzip: mehr Stress bedeutet mehr Nutzen für unser Ziel (oder mehr Leistung) – zumindest bis zum Magic Spot. Dann geht’s mitunter ganz schnell bergab. Du kannst mit dem Magic Spot-Prinzip sowohl zeitpunkt- als auch zeitraumbezogen arbeiten (d.h. „jetzt gerade“ oder eben auch „diese Woche“). Ganz wichtig: es handelt sich nie um einen fixen Punkt oder eine fixe Leistungsfähigkeit. Wenn du gerade aus dem Urlaub kommst, hast du mit Sicherheit einen anderen Magic Spot (eine andere 100% mögliche Leistung), als wenn du kurz vor dem Urlaub stehst. Genauso haben Auszubildende grundsätzlich einen anderen Magic Spot als vielleicht jemand mit 70 (oder jemand mit Grippe vs. ohne). Es geht immer darum: was ist denn gerade maximal möglich?

Stresslevel erhöhen:

Stell dir vor, du hast es dir in der Pause bei einem Kaffee gemütlich gemacht und auf einmal bekommst du eine Nachricht, dass gerade etwas ordentlich schiefgelaufen ist. „Feuerlöschen“ ist angesagt – und zwar pronto! Das pumpt mal so richtig Energie ins System, oder? Auf einmal bist du hellwach und bereit, anzupacken. Hier zitiere ich gerne Stress-Experte Jacob Drachenberg: „Wir haben so lange ein Motivationsproblem, bis wir ein Zeitproblem haben.“

Eine smart gesetzte Deadline z.B. kann den kleinen Schubser geben, der gebraucht wird, um in den Magic Spot zu kommen.

Stress rausnehmen:

Gleiches gilt für die andere Richtung: Stell dir vor, ihr brütet schon eine Weile über einem Problem und kommt einfach nicht auf die Lösung – egal, wie sehr ihr euch anstrengt. Mehr Druck führt hier nur zu mehr Frust. Da hilft es, einen Schritt zurückzugehen (vielleicht auch spazieren) und den Kopf erst einmal freizubekommen. Runterfahren.

Mit körperlichem und mentalem Abstand sieht die Welt schon wieder ganz anders aus und der neue Weitblick liefert die Lösung. Als Ausbilder:in darfst du deinen Azubis helfen, ihren Magic Spot zu erkennen: ihre ganz persönliche "Spannung" zu finden, kalibriert auf die aktuelle Aufgabe – damit sie mit Freude, Motivation und Gesundheit durch die Ausbildung gehen.

Wie finden wir – und unsere Azubis – diesen Magic Spot?

Eines ist unerlässlich: der Blick nach innen. Ein Gefühl für uns selbst. Das ist die berühmte „Achtsamkeit“: wir dürfen wieder lernen, hinzuhören. Zu beobachten. Bevor du sinnvoll mit dem Magic Spot arbeiten kannst, darfst du dir (und den Azubis) folgende Fragen stellen:

1. Woran erkennst du denn, dass du dich gerade im Magic Spot / im Flow befindest? Welche Tätigkeiten übst du da aus? Wie fühlt sich das an? Wie sieht das bei den Auszubildenden aus?

2. Wie sehen deine individuellen Frühwarnzeichen konkret aus? Wie die der Auszubildenden?

Erst, wenn du dich bewusst mit diesen Fragen auseinandergesetzt hast und weißt, wo du dich auf der Kurve gerade befindest, macht der Einsatz von Tools & Methoden Sinn. Gleiches gilt für die Azubis.

Das kannst du als Ausbilder:in tun:

  • Suche das Gespräch und schaffe Räume für Reflexion (z.B. im Ausbildungsdialog oder im Teamgespräch)

  • Sprich offen über die Themen Stress & Emotionen

  • Du bist Vorbild: dein Umgang mit Stress und Emotionen wird von Azubis genau beobachtet und auch übernommen!

Fördere das Bewusstsein, dass dieser Punkt flexibel ist und sich je nach Situation und Lernphase verändern darf.

Beispiele aus dem Ausbildungsalltag:

  • Start der Ausbildung: Hier ist ggf. mehr Struktur und Sicherheit gefragt, sofern die Azubis jenseits des Magic Spots sind. Die, die noch nicht im Magic Spot sind, benötigen etwas mehr Motivation, wie z.B. ein konkretes Zielbild, an das sie emotional „andocken“ können

  • Vor Prüfungen: Hier kannst du aktiv dabei helfen, einen positiven Stresslevel (Eustress) aufzubauen, der Leistung fördert oder negativen Stress (Distress) zu reduzieren, indem du Sicherheit gibst und so Ängste abbaust – je nachdem, was die Azubis gerade individuell brauchen

  • In ruhigeren Phasen: Unterstütze deine Azubis dabei, auch Regeneration und Entspannung als Teil des Lernerfolgs wertzuschätzen

Azubis, die permanent auf Hochtouren laufen, aus Angst den Anforderungen nicht zu genügen. Oder die, die sich zurückziehen und in den Widerstand gehen, wenn der Stress zu hoch wird. Die Anzeichen für zu viel Stress sehen nicht bei jedem gleich aus – achte hier gerne auf individuelle Frühwarnzeichen!

Als Ausbilder:in spielst du hier eine wichtige Rolle und kannst die jungen Menschen, die diese Fähigkeiten ja meist erst lernen, gezielt an die Hand nehmen. Hier gilt das gleiche wie im Flugzeug: setze dir zuerst die Sauerstoffmaske auf, bevor du anderen hilfst! Reguliere erst deinen Stress und dann kannst du andere gut begleiten.

Die Gitarrensaite als Bild für optimalen Stress

Ein schönes Bild, das du auch im Gespräch mit den Azubis nutzen kannst, um ihnen den Magic Spot zu erklären: den optimalen Klang erreichen wir nur bei perfekter Spannung der Saite

  • Zu wenig und der Ton klingt hohl (zu niedriges Stresslevel)

  • Zu viel und die Saite reißt (zu hohes Stresslevel)

Vielleicht denkst du jetzt auch: „Ich kenne doch diese ganzen Methoden zur Stressregulation schon. Wenn’s heiß hergeht, haben wir für sowas keine Zeit auch keine Nerven mehr.“ Dann bist du nicht alleine, denn die meisten Menschen wissen, was sie eigentlich tun sollten, schaffen es dann aber nicht, dies auch umzusetzen, wenn es wirklich darauf ankommt. Auch das ist eine schöne Gelegenheit, zu reflektieren: Was genau hält dich denn im Einzelfall davon ab, diese Methoden anzuwenden?

Digitale Reizüberflutung als Stressfaktor

Ein Aspekt, der in der Ausbildung oft unterschätzt wird: digitale Dauerbeschallung. Viele Azubis sind es nicht gewohnt, ohne ständige Reize und Ablenkung zu arbeiten. Für einige ist die Abwesenheit von Reizen sogar selbst ein Stressor. Das auszuhalten erfordert mitunter durchaus etwas Übung.

Hier kannst du sensibilisieren und gemeinsam Strategien entwickeln, um Phasen der Stille und Konzentration als wertvolle Ressource zu entdecken und zu pflegen. Bitte beachte: je weiter wir über den Magic Spot hinaus sind, desto schwieriger ist es für unser Gehirn, logisch und rational zu agieren – eine Voraussetzung, um Tools & Methoden wie z.B. Zeit- und Pausenmanagement bewusst anwenden zu können.

Mindset kommt da an Grenzen, wo Emotionen übernehmen

Oftmals liegen die individuellen Stressursachen auch auf emotionaler Ebene und wir kommen mit den bekannten Methoden nicht weiter. Das kann z.B. bei Lernblockaden oder Prüfungsangst der Fall sein. Dann zögert nicht, euch externe Unterstützung zu holen.

 

Viel Spaß beim Erforschen des Magic Spots!

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