28.07.2025

In vielen Betrieben läuft die Ausbildung scheinbar reibungslos – Inhalte werden vermittelt, Prüfungen vorbereitet, Abläufe durchgetaktet. Doch was auf den ersten Blick funktioniert, hat oft Risse unter der Oberfläche. Immer mehr Auszubildende erleben ihre Ausbildungszeit als herausfordernd – sie fühlen sich mitunter überfordert. Psychische Belastungen nehmen spürbar zu, doch die dahinterliegenden Signale werden nicht immer erkannt. Gerade in den ersten Jahren der Ausbildung ist ein achtsames und unterstützendes Miteinander besonders wichtig. Dieser Beitrag möchte Ausbilderinnen und Ausbilder nicht nur sensibilisieren, sondern sie handlungsfähig machen: Wie erkenne ich psychische Belastungen? Was kann ich tun – ganz konkret?

Psychische Gesundheit in der Ausbildung

In vielen Betrieben herrscht Zeitdruck. Der Ausbildungsalltag ist oft straff organisiert: Lerninhalte müssen vermittelt, Kompetenzen geprüft und Berichte erstellt werden. Dabei geraten die individuellen Bedürfnisse der Auszubildenden leicht in den Hintergrund – obwohl gerade in dieser Phase persönliche Fragen, Unsicherheiten oder Belastungen eine wichtige Rolle spielen. Umso wertvoller ist es, wenn im anspruchsvollen Ausbildungsrahmen auch Raum für den Menschen bleibt.

Viele Azubis starten mit einem Rucksack voller Herausforderungen:

  • Sie kommen direkt aus der Schule – mit Leistungsdruck, Unsicherheiten, Mobbingerfahrungen.

  • Manche haben familiäre Belastungen – psychische Erkrankungen in der Familie, finanzielle Sorgen, instabile Verhältnisse.

  • Andere kämpfen mit Zukunftsängsten oder dem Gefühl, den steigenden Erwartungen nicht zu genügen.

Doch was passiert, wenn eine Auszubildende oder ein Auszubildender psychisch überfordert ist? Häufig bleibt dies zunächst unbemerkt – nicht aus Desinteresse, sondern weil im anspruchsvollen Ausbildungsalltag schlicht die Zeit oder das nötige Gespür fehlt, solche Signale früh zu erkennen.

Konkrete Impulse für Ausbilder:innen:

  • Reduzieren Sie den Druck dort, wo es möglich ist. Bieten Sie Flexibilität bei Tagesabläufen oder Lernmethoden an.

  • Halten Sie inne, wenn Sie merken, dass jemand nicht mehr „mitkommt“. Nicht weiter antreiben – sondern fragen: „Was brauchst du gerade?“

  • Zeigen Sie: Ich sehe dich – nicht nur deine Leistung.

Junge Menschen zeigen Belastungen ganz unterschiedlich

Psychische Probleme haben nicht immer ein sichtbares Gesicht. Wir erwarten oft Tränen, Wut oder offensichtliches Fehlverhalten. Aber viele junge Menschen leiden leise. Sie passen sich an, geben sich Mühe, bleiben höflich – und verschwinden innerlich Stück für Stück.

Sie wollen nicht auffallen. Wollen „funktionieren“. Und gerade deshalb werden sie übersehen. Ihr Rückzug wird als Schüchternheit gewertet, ihre Überforderung als mangelndes Engagement. Doch dahinter stecken oft tiefe innere Konflikte:

  • Angst, nicht gut genug zu sein

  • Angst, Erwartungen nicht zu erfüllen

  • Angst, zu versagen – oder einfach nur zu stören

Was können Ausbilder:innen tun?

  • Schärfen Sie Ihre Wahrnehmung für „stille Warnsignale“.
    Wird jemand immer leiser? Immer unauffälliger?

  • Sprechen Sie es an – mit Respekt:
    „Du wirkst in letzter Zeit zurückhaltend. Wenn dich etwas beschäftigt, bin ich da.“

  • Vermeiden Sie Fehlinterpretationen:
    Nicht jedes Schweigen ist Desinteresse. Es kann auch Selbstschutz sein.

Wenn Aufgeben leiser ist als Hilfe holen

Die Entscheidung, eine Ausbildung abzubrechen, fällt nicht plötzlich. Sie ist meist das Resultat eines langen inneren Konflikts – still, einsam und ohne Ausdruck. Viele Azubis denken monatelang:

  • „Ich halte das nicht mehr aus.“

  • „Ich will nicht mehr mit Bauchschmerzen herkommen.“

  • „Ich schaffe das einfach nicht.“

Doch diese Gedanken werden selten ausgesprochen. Warum?

Weil viele junge Menschen gar nicht wissen, dass sie sich Unterstützung holen dürfen. Weil sie befürchten, dadurch als überfordert oder nicht belastbar wahrgenommen zu werden.

Deshalb ist es entscheidend, dass Ausbilder:innen:

  • Den Mut haben, früh nachzufragen:
    „Was beschäftigt dich in letzter Zeit?“

  • Hilfen aktiv anbieten, statt auf Eigeninitiative zu hoffen. Wer leidet, meldet sich selten selbst.

  • Signalisieren: Du bist nicht allein – und nicht falsch.

Wir haben über alles gesprochen, nur nicht über das, was wirklich weh tut

In vielen Betrieben gibt es Feedbackgespräche. Strukturiert, wohlmeinend, standardisiert. Aber oft wird genau das, was wirklich zählt, nie angesprochen. Die psychische Verfassung. Die Gefühle. Die Unsicherheit.

Warum? Weil Azubis oft nicht die richtigen Worte haben. Weil sie das Vertrauen nicht spüren. Weil sie gelernt haben, dass Gefühle keinen Platz im Berufsleben haben.

Was Ausbilder:innen tun können:

  • Räumen Sie gezielt Platz ein für persönliche Themen.
    Ein einfaches Gespräch mit der Frage: „Wie geht es dir – abseits vom Fachlichen?“ kann Türen öffnen.

  • Seien Sie präsent – nicht perfekt. Sie müssen keine Lösungen bieten. Es reicht oft, einfach zuzuhören.

  • Schaffen Sie Gesprächsanlässe, die nicht kontrollierend wirken:
    Vielleicht bei einem Kaffee, einem gemeinsamen Weg – fern von Schreibtisch und Checkliste.

Ausbilder:innen sind keine Therapeut:innen – aber wichtige Bezugspersonen

Natürlich: Ausbilder:innen können keine Diagnosen stellen. Sie sind keine Psycholog:innen. Aber sie haben eine besondere Rolle. Sie sind oft die ersten, die Veränderungen wahrnehmen: Plötzliche Fehlzeiten, Konzentrationsprobleme, Reizbarkeit.

Ein leistungsbezogenes Feedback reicht dann nicht mehr. Wer unter Druck steht, braucht keine Mahnung – sondern Verständnis.

Deshalb gilt:

  • Erkennen, was hinter Verhalten steckt. Rückzug = vielleicht Belastung, nicht Faulheit.

  • Feedback immer mit Beziehung verbinden: „Ich sehe, dass du Schwierigkeiten hast – lass uns schauen, was wir verändern können.“

  • Hilfe aktiv anbieten: Beratungsstellen, interne Anlaufpunkte, Jugendsozialarbeit.

Und vor allem: Eine Kultur schaffen, in der es erlaubt ist, nicht perfekt zu sein.

 

Merkliste: Was Ausbilder:innen im Kopf behalten sollten

  • Leistung ist nicht alles. Ein stabiler Mensch lernt besser als ein überforderter.

  • Nicht jeder Rückzug ist Desinteresse. Manchmal ist es Angst.

  • Früher fragen ist besser als später beurteilen.

  • Hilfesignale sind oft leise. Aufmerksamkeit ist Prävention.

  • Vertrauen entsteht nicht automatisch. Es braucht Raum, Zeit und echtes Interesse.

  • Du musst nichts lösen. Aber du kannst begleiten – und weitervermitteln.

Psychische Gesundheit in der Ausbildung ist kein Sonderthema

Wer als Ausbilderin oder Ausbilder hinsieht, zuhört und Beziehung auf Augenhöhe gestaltet, gibt jungen Menschen mehr als nur Fachwissen: Er oder sie gibt Sicherheit, Orientierung und die Chance, sich wirklich zu entwickeln.

Ausbildung bedeutet nicht nur Fachkompetenz zu vermitteln – sondern Vertrauen zu schenken.

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